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GLOBALES LERNEN IN DER BERUFLICHEN SCHULE
Globales Lernen – als Lernen für den Umgang mit Komplexität
Globales Lernen ist Lernen für die Zukunft. Globales Lernen ist kein neuer Lernansatz und auch keine „pädagogische Eintagsfliege“. Globales Lernen ist vielmehr die pädagogische Antwort auf den Globalisierungsprozess, in dem wir uns befinden. Globales Lernen (global learning, früher development education) gibt es – unter diesem und vielen anderen Begriffen – seit mehreren Jahrzehnten und wird nicht selten von Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht praktiziert, ohne einen spezifischen Namen zu haben.
Globales Lernen hat seine Wurzeln in verschiedenen Pädagogiken, zum Beispiel in der entwicklungsbezogenen Bildung und in der Menschenrechtserziehung, in der Umweltpädagogik, in der multikulturellen Pädagogik und auch im ökumenischen Lernen.
Globales Lernen hat ein weites Spektrum von Themen und von Lernzielen, vor allem die Vermittlung und Befähigung zu:
Globales Lernen orientiert sich an ethischen Grundprinzipien, will Mitverantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen initiieren und zur aktiven Mitgestaltung einer lebenswerten Umwelt befähigen. Orientierung in der Weltgesellschaft und Horizonterweiterung sind wichtige Prinzipien.
Dass die Welt sich in stetigem Wandel befindet, ist keine Neuigkeit. Dieser Wandel vollzieht sich jedoch zunehmend in einem Tempo und mit einer Radikalität, der wir Schwierigkeiten haben zu entsprechen. Unser Denken und Handeln im Privatleben und am Arbeitsplatz, in der heimatlichen Region und im eigenen Land stehen in einem in der Menschheitsgeschichte noch nie erlebten Geflecht von Wirkungszusammenhängen mit völlig anderen Teilen der Welt. Die Internationalisierung von Wirtschaft, Politik und Kultur führt zu Veränderungen, die für einige Menschen bedrohlich sind, für andere willkommene Herausforderungen darstellen. Dabei werden nicht ins Bild passende Aspekte nicht selten ignoriert. Fusionen von Großunternehmen zum Beispiel können einerseits zur Folge haben, dass Arbeitsplätze sicherer werden und neue Absatz- und Beschaffungsmärkte entstehen. Sie können aber auch den Ruin kleiner und mittlerer Betriebe bedeuten. Von den Gewinnen multinationaler Unternehmen profitieren außerdem in den seltensten Fällen die Volkswirtschaften ärmerer Länder. Selten jedoch werden komplexe Sachverhalte in den Massenmedien nur in Ausnahmefällenaus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Unzulässige Reduktionen aber können zu Haltungen führen wie zum Beispiel Pessimismus oder Euphorie, zu positiven oder negativen Rassismen, zu Aggressionen und Abwehr, die als handlungsleitende Motive für die Bewältigung unserer Zukunft wenig taugen.
Nicht vergessen werden darf außerdem, dass sich in diesem Globalisierungsprozess die Schere zwischen einer wachsenden Anzahl von Armen und einer Minderheit von Reichen weiter öffnet, und zwar in allen Gesellschaften dieser Welt. Auch in der Bundesrepublik Deutschland gibt es zunehmend Armut, Arbeitslosigkeit und psychische Verelendung. Das Bild von der „Zweidrittelgesellschaft“ nimmt auch in der Realität Konturen an. In der Schulpädagogik und damit auch in der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind daher Handlungskompetenzen zu vermitteln, die dabei helfen, mit komplexen Sachverhalten wie zum Beispiel Armut, (Kinder-)Arbeit, Schulden(erlass) oder (fairer) Handel so umzugehen, dass die Schülerinnen und Schüler auf der Basis von Einsichten und Informationen lernen sozial zu handeln.
Zentrales Anliegen von Globalem Lernen
ist die Auseinandersetzung mit verschiedenen Realitäten– aus der Sicht
Betroffener und Aussenstehender, innerhalb einzelner Gesellschaften und
Gruppen, in der Beziehung verschiedener Nationen zueinander und im weltweiten
Kontext. Globales Lernen in der beruflichen Schule hat zum Ziel,
dass Schülerinnen und Schüler lernen mit Komplexität umzugehen
anstatt sie zu negieren und einfachen Wahrheiten „aufzusitzen“. Globales
Lernen hat auch zum Ziel, dass die Jugendlichen kritisch mit neuen
Medien und deren Informationsvielfalt umzugehen lernen und sie nutzen,
um sich eigene „Bilder“ zu verschaffen. Globales Lernen soll dazu beitragen,
dass Schülerinnen und Schüler die Handlungs- und Sozialkompetenzen
für eine demokratische Zivilgesellschaft im 2. Jahrtausend erwerben.
Globales Lernen als Qualifikationsaspekt beruflicher Bildung
Der kritische Umgang mit Fragen nach Weltgesellschaft, weltweiten wirtschaftlichen Strukturen, multinationalen Konzernen, Verschuldungs- und Zollpolitik, Kinderarbeit und Arbeitslosigkeit, Mobilität und Internet fällt nicht leicht in der beruflichen Schule. Manche Lehrkräfte befürchten zusätzliche Überfrachtungen mit Lehr- und Lerninhalten. Schülerinnen und Schüler sehen häufig keine unmittelbare Verwertbarkeit für ihre Ausbildungszeit und künftige Berufstätigkeit. Einige Ausbildungsbetriebe wiederum sehen sich, je nach Größe, Standort, Branche und Exportorientierung, weniger im Kontext von Weltwirtschaft als in der betrieblichen Notwendigkeit verhaftet, größtmöglichen zeitnahen Nutzen aus den neu erworbenen Kompetenzen der Auszubildenden zu ziehen.
Schulen und Ausbildungsbetriebe haben jedoch die Aufgabe, junge Menschen für Arbeits- und Lebenswelten und nicht ausschließlich für bestimmte Ausbildungsberufe und –betriebe zu qualifizieren. Diese Forderung gewinnt im Zuge der Globalisierung und ihrer Folgen zunehmend an Brisanz . Die Wahrscheinlichkeit, dass künftige Arbeitnehmer weder ihren Beruf noch ihren Arbeitsplatz und Arbeitsort verändern werden ist gering. „Höchste Beweglichkeit ist gefragt, Mobilität wird zum Schlüsselbegriff für die Zukunft der Arbeit.“ Doch nicht nur Einstellungswandel und Flexibilität, sondern auch Wissen über ökonomische, ökologische und soziale Zusammenhänge, in denen künftige Arbeitnehmer und Unternehmer wirtschaften, sind gefragt. „Wir können in Deutschland, Europa und weltweit nur sinnvoll agieren, wenn dieser Generation ein Problembewusstsein für Wirtschaft, Umwelt und Soziales vermittelt wird. Und daran arbeiten wir, das ist für unser Unternehmen wichtig“. Die hierfür notwendige Handlungskompetenz können Schülerinnen und Schüler nur dann erwerben, wenn sie Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven in den Blick nehmen und bedenken. „Auch der bestausgebildete Fachmann wird auf Dauer keinen Erfolg haben, wenn er es nicht versteht, mit Menschen umzugehen und die Welt mit einem Weitwinkelobjektiv einzufangen.“
Globales Lernen ist folglich in vielfacher Hinsicht unerlässlich für die berufliche Qualifizierung.
Aus der Sicht der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen unterstützt Globales Lernen:
Globales Lernen als Element professionellen berufspädagogischen Handelns
Globales Lernen ist ein Element professionellen
berufspädagogischen Handelns von Lehrkräften und Ausbildern.
Unterrichtsinhalte werden immer dann „global erweitert“, wenn dies sinnvoll
- oder auch im Sinne einer beruflichen Qualifizierung notwendig – erscheint.
Die damit verbundenen Lernprozesse dienen der fachlichen Qualifizierung
der Schülerinnen und Schüler, der Persönlichkeitsentwicklung
und/oder der Reflexion ihrer Rollen und Aufgaben in der Gesellschaft
– sowohl in ihrem Lebensumfeld als auch in internationaler Verantwortung.
Globales Lernen knüpft dabei immer aktiv an der multiethnischen Zusammensetzung
der Lerngruppen in beruflichen Schulen an: eine Chance für gemeinsames
Lernen voneinander.
Globales Lernen ermöglicht Lehrkräften
und Schülerinnen und Schülern gleichzeitig, sich auf Neues oder
Ungewohntes einzulassen. Eigene Vorurteile und Stereotype müssen dabei
allerdings offengelegt und bearbeitet werden.
Auf der Basis dieser pädagogischen
Haltung findet sich ein Vielzahl von Anknüpfungspunkten für die
Beruflichen Schulen, um Globales Lernen in Unterrichtsprozesse umzusetzen.
Ausgehend von Lehrplänen und schulischen Stoffverteilungsplänen
werden zu vermittelnde Lernfelder und Themen um Aspekte erweitert wie:
Die Vermittlung kann fächerübergreifend
sein mit Themenkomplexen wie zum Beispiel:
Nicht außen vorgelassen werden
sollten auch die Ausbildungsbetriebe. Idealerweise wird in Berufsschulklassen
auf sie Bezug genommen. Gegebenenfalls ist es sogar möglich, mit Ausbildern
gemeinsam zu arbeiten, Erfahrungen und Praktiken in den Betrieben einzubeziehen
und Handlungsalternativen im Einkauf, in der Produktion und im Vertrieb
und der Vermarktung zu erwägen. Dies ist besonders interessant für
Unternehmen, die ihren Kundenkreis oder ihre Produktpalette erweitern wollen,
beispielsweise im Einzelhandel oder im Gastgewerbe.
Globales Lernen in allen Schulformen und Schulstufen
Globales Lernen ist in allen Schulformen
der beruflichen Schule sinnvoll und umsetzbar:
Globales Lernen als Bestandteil von Schulprogramm und Schulprofil
Globalität – der weltweite Kontext, in den jede berufliche Schule ohnehin eingebettet steht – kann sich in Schulprogramm und Schulprofil integriert abbilden. Sie kann aber auch expliziter Teil des Schulprofils sein und durch eine gezielte Programmatik, die sich in gelebtem Schulalltag und Pädagogik abbildet, umgesetzt werden.
Berufliche Schulklassen sind fast überall aus Jugendlichen gebildet, die recht unterschiedlicher Herkunft sind: Ortsansässige, Zuzügler aus anderen Regionen, Aus- und Übersiedler, Flüchtlinge, Asylbewerber und Jugendliche, deren Familien in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben. Sie alle tragen zu einem Spektrum an Kulturen, Religionen, Sozialisationen und Denk- und Verhaltensweisen bei, das eine grosse pädagogische Herausforderung darstellt. Gleichzeitig bieten sie vielfältige Möglichkeiten der Erweiterung von Horizonten. Diesen Herausforderungen und Möglichkeiten kann mit Ansätzen des globalen Lernens mit seinen interkulturellen Aspekten pädagogisch fundiert entsprochen werden.
Ausbildungsbetriebe befinden sich in einem ähnlich vielfältigen internationalen Beziehungsgeflecht wie die Auszubildenden selbst. Sie haben ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verarbeiten Produkte aus allen Teilen der Erde und verkaufen ihre Waren und Dienstleistungen ins Ausland. Sie haben Niederlassungen und Geschäftspartner in anderen Ländern, interessieren sich für ausländische Märkte oder produzieren für Projekte staatlicher und privater Entwicklungshilfe.
Häufig sind sich Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler der Internationalität ihres Alltags wenig bewußt. Wenn sie befürchten müssen, nach ihrer Schul- oder Ausbildungszeit arbeitslos zu sein, so sind sie nicht selten ansprechbar für negative Stereotype und Vorurteile gegenüber Fremden und Fremdem. Folgen können Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sein – mit Sicherheit kein Qualitätsmerkmal für Teamarbeit und Mitarbeiterführung. Die berufliche Schule hat daher die Verantwortung, ihre Schülerinnen und Schüler auch dahingegehend zu bilden, dass sie auf den Betriebsfrieden positiv einwirken, dass sie weltoffen und physisch und psychisch mobil werden und über enge Grenzen hinaus denken und agieren können. Je mehr dies im Schulalltag gelebt und pädagogisch gezielt im Unterricht gefördert wird, desto „zukunftsfähiger“ können Schülerinnen und Schüler werden. Die Anerkennung als Europa-, UNESCO-Projekt- oder Ökologische Schule ist hierfür hilfreich, aber nicht unabdingbar.
Die Verankerung der genannten Ziele im Schulprogramm und die Betonung von Internationalität im Schulprofil verpflichten Schulleitung, Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler auf diese Ziele und verdeutlichen den Ausbildungsbetrieben die zu zu erwartenden beruflichen Qualifikationen.
Literaturhinweise zum Globalen Lernen
Theorie
Führing, Giesela: Begegnung als Irritation. Ein erfahrungsgeleiteter Ansatz in der entwicklungsbezogenen Didaktik. Münster 1996.
Forum "Schule für Eine Welt". Globales Lernen. Anstöße für die Bildung in einer vernetzten Welt. Jona 1996
Globales Lernen. Ausgabe 3/1996 von Global Lernen. Herausgeber und Bezug: Schulprojektstelle Globales Lernen, Büro Stuttgart: BROT FÜR DIE WELT, Stafflenbergstr 76, 70184 Stuttgart
Schade, K.F. (Hrsg): global denken - lokal handeln, Pädagogik: Dritte Welt, Jahrbuch 1991/92 . Frankfurt
Scheunpflug, Annette/Seitz Klaus: Zur pädagogischen Konstruktion der "Dritten Welt". IKO-Verlag, Frankfurt 1995. 3 Bände (Band I: Entwicklungspolitische Unterrichtsmaterialien. Literatur und Didaktik der entwicklungspolitischen Bildung. Band II: Schule undLehrerbildung. Band III: Erwachsenenbildung und Jugendarbeit)
Scheunpflug, A., Toepfer, B. (Hrsg.): Entwicklungsbezogene Bildung in beruflichen Schulen. Ein fachdidaktisches Handbuch zum globalen Lernen. Frankfurt 1996 (Politikunterricht, Deutsch, Fremdsprachen, Wirtschaftslehre, Holztechnik, KFZ-Technik, industrielle Metallberufe, Erzieherinnen und Erzieher, Touristik, Gastronomie und Hotellerie, Schulalltag, internationale Schulpartnerschaften)
Scheunpflug A.; Toepfer B.: Eine Welt in beruflichen Schulen. Bestandsaufnahme und Perspektiven entwicklungssbezogenen Lernens. Köln 1994.
In der Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (ZEP) wurde und wird die Diskussion um Globales Lernen intensiv geführt). Besonders: Heft 3/1999: Globales Lernen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. (IKO Verlag Frankfurt)
Die Zeitschrift epd - Entwicklungspolitik
informiert in laufenden Rubriken (Pädagogik praktisch, Pädagogik
aktuell) zu theoretischen und unterrichtspraktischen Aspekten Globalen
Lernens.
Unterrichtsmaterialien und weitere Sekundärliteratur
liegen in der Schulberatungsstelle vor. Eine Liste dieser Publikationen
können Sie anfordern.
Barbara Toepfer
e-mail:
(b.toepfer@help.hessen.de)